"Kenne ich doch eh!"-Irrtum
Wildgemüse ist „en vogue“! Nur sollte man es beim Sammeln auch erkennen und wissen, was man seinen Liebsten später auftischt. Gerade nach der Osterjause besinnt man sich gerne an das allbekannte „Podagrakraut“, welches in der alpenländischen Volksheilkunde als „blutreinigend“ und „stoffwechselanregend“ gilt. Während der Giersch (Aegopodium podagraria) für viele Gartenbesitzer ein unliebsames „Unchrut“ ist, schätzen ihn andere als wertvolles Antidyskratikum zur Herstellung der „Säftebalance“ und kombinieren ihn sinnvoller Weise mit anderen, leicht aquaretischen Pflanzen. Nicht selten landet bei der eifrigen Wildsammlung statt dem „Kenn ich doch blind“- Giersch ein anderer Doldenblütler mit im Korb. Beide Pflanzen haben ähnliche Standortsansprüche und können von der Hügelstufe bis in den Bergwald „Blatt an Blatt“ nebeneinander vorkommen. Wer ist nun der „falsche Giersch“ und wie giftig ist er?
Es handelt sich dabei um einen Vertreter aus der Gattung Kälberkropf. Eine Verwechslung ist allerdings nur im Frühjahr bei jungen Pflanzen gegeben – dann also, wenn der Wildgemüse-Gourmet seine Fühler ausstreckt.
Man kann die jungen Blätter des ähnlichen Wimper-Kälberkropfs durch folgende Merkmalskombination vom Giersch gut unterscheiden:
- Blattunterseite leicht glänzend (Vrgl. Giersch: matt).
- Blattstiel im unteren Abschnitt fast immer behaart (Vrgl. Giersch: unbehaart).
- Blattstiel unten kaum gefurcht bis abgerundet.
- Fiedern an einigen Stellen deutlich tiefer eingeschnitten.
- Unteres Fiederblattpaar (Fieder 1. Ordnung) verhältnismäßig kurz gestielt.
Am Ende hält aber Asklepios seine wohlwollende Hand über dem unkonzentrierten Kräuterfreund, denn der Verzehr kleiner Mengen des Wimper-Kälberkropfs gilt als unproblematisch. Für den nahe verwandten Alpen-Kälberkropf (Chaerophyllum villarsii) ist im Alpenraum eine Verwendung als „wilder Kervel“ überliefert und der Knollen-Kälberkropf (Chaerophyllum bulbosum) wurde seit dem Mittelalter gezielt als Nahrungspflanze kultiviert. Unser Wimper-Kälberkropf besitzt aus aktueller Sicht also recht harmlose „Geschwister“ und selbst die Panikmache vor dem Taumel-Kälberkropf (Chaerophyllum temulum) gilt heute als übertrieben.
Trotz der „Kälberkropf-Gutmutigkeit“ sollte man wissen, was man in den Mund steckt. Vorsicht ist eventuell beim Verzehr der polyinhaltigen und noch nicht zufriedenstellend analysierten Wurzel des Wimper-Kälberkropfs geboten, wenn z.B. alte Rezepte die Verwendung der Gierschwurzel verlangen:
Rezept bei Stoffwechselerkrankungen (Seel H, 1959)
Geißfußwurzel (Aegopodii podagrar. rad.)
Queckenwurzel (Graminis rhiz.) zu gleichen Teilen
Dosierung: 5 TL pro Tasse heiß aufgießen
Die Rezeptur kann aus heutiger Sicht als moderat wirkende, leicht harntreibende Kombination eingestuft werden. Als ernst zu nehmende Maßnahme bei z.B. rheumatischen Beschwerden fehlt allerdings ein nachweislich entzündungshemmendes Prinzip. Dieses kann z.B. die Brennnessel mit ihren Kaffeesäureverbindungen (z.B. Caffeoyläpfelsäure) verlässlich mitbringen:
Rezept zur Bindegewebsentlastung bei rheumatischen Beschwerden (Vogt D.):
Geißfußwurzel (Aegopodii podagrar. rad.) 25,0
Queckenwurzel (Graminis rhiz.) 25,0
Brennnesselblätter (Urticae fol.) 50,0
Dosierung und Anwendung:
5 Gramm der Drogenmischung mit 1 Tasse kochendem Wasser aufgießen, 15 Minuten ziehen lassen, abseihen und schluckweise einnehmen. 3 Tassen täglich für 4 Wochen.
Viel Spass beim Gierschen wünscht Phytagoras!
Terminvorschau: Doldenblütlerseminar am 9. -10. August 2019