Keine Gams, dafür rosa Bären und grüne Hasen!
Jeder jagt zum Glück etwas anderes. Während Geweih- und Hornträger nur unbeabsichtigt ins Visier des Botanikers geraten, zählen grüngelbe Hasen und rosarote Bären zu den heiß begehrten Zielen einer Karawanken-Pirsch. Zu diesem Jagdglück verhilft aber kein fantasieanregender Flachmann am Hochsitz, sondern nur der mühsame Aufstieg in den alpinen Rasen …
Hase schlägt botanischen Haken
Das Felsen-Hasenohr (Bupleurum petraeum) ist ein ausgesprochen scheues Wesen und man muss im felsigen Blaugras- u. Polsterseggenrasen schon genau suchen, um seine grasartige Gestalt von den Horsten der Süß- und Sauergräser zu unterscheiden. Zu welcher Pflanzenfamilie gehören aber die linealen Blätter der schopfigen Grundrosette mit ganzrandigen Blattspreiten? Die Blattnervatur mit mehreren Längsnerven lässt an eine einkeimblättrige Pflanze denken. Vielleicht ein Liliengewächs? Wenn aber von Juli bis August erst einmal gelbgrüne „Sternlein“ am Ende eines Stängels in der Luft hängen, gibt es keinen Zweifel: Die Hasenohren gehören einem Doldenblütler!
Die „Sternlein“ entsprechen den von gelblichen Hochblättern (Hüllchenblätter) umgebenen Döldchen, die wiederum in einer Dolde mit Hüllblättern zusammenstehen.
Die ausdauernde Pflanze kommt österreichweit nur selten in Süd-Kärnten vor und besitzt ihr Hauptareal eigentlich in den Westalpen. In den slowenischen Karawanken stehen die Chancen für den „Hasenfang“ besonders hoch. Im Unterschied zu ähnlichen, in Österreich vorkommenden Vertretern der Gattung Hasenohr ist der Stängel hier nicht ästig verzweigt und die grasartigen Laubblätter sind mehrnervig.
Chinesische Hasen hoppeln anders
So unbekannt das in Kärnten mit zwei Arten vertretene Hasenohr auch ist, so berühmt ist es in der traditionell chinesischen Medizin und ist als „Chai Hu“ in praktisch jedem besseren Kräuterhaus in Asien zu bekommen. Allerdings handelt es sich dann nicht um die beiden heimisch vorkommenden Felsen- und Langblatt-Hasenohren, sondern um das China-Hasenohr (B. chinense). Die Wurzel (Bupleuri chinensis radix) zählt zu den ältesten hepatotropen Drogen in der TCM und soll mit ihren speziellen Seifenstoffen, sogenannten Saikosiden, – ganz ähnlich wie der berühmte Flavonoidkomplex „Silimarin“ der Mariendistel – die Leber schützen und gleichzeitig ihre Drüsenaktivität anregen. Der ehemalige Präsident der englischen Gesellschaft für Phytotherapie, Andrew Chevallier, spricht von einem „Harmoniekraut“ zur „Beseitigung von Disharmonien zwischen Leber und Milz“. Zur allgemeinen Stärkung der Leberfunktion empfiehlt er eine Abkochung der Wurzeldroge zusammen mit Süßholz.
Können wir nun auch das Felsen-Hasenohr in die alpenländische Heilpflanzenkunde salopp aufnehmen? Die Verlockung ist groß, aber eine im Journal für Ethnopharmakologie im Jahr 2016 veröffentlichte Studie belegt, dass viele Bupleurum-Arten einen besonders hohen Gehalt an neurotoxischen Polyacetylenen wie Bupleurotoxin, Acetylbupleurotoxin oder Oenanthotoxin beinhalten. Die TCM hat immerhin über 2000 Jahre benötigt, um aus der Vielzahl der Hasenohren – weltweit sind es rund 200 Arten – das passende zu finden. Auch eine aktuelle Studie mit Beteiligung der Akademie für Militärmedizin in Beijing zeigt signifikante Unterschiede der sekundären Inhaltsstoffe in Vertretern der Gattung Hasenohr. Die Verwendung von verschiedenen Stammpflanzen für „Chai Hu“ wird von Experten für problematisch betrachtet und Intoxikationen durch Verwechslung mit ähnlichen Arten (z.B. Bupleurum longiradiatum) sind bereits bekannt. Das voreilige und unreflektierte Übertragen von Erfahrungen mit einer bestimmten Pflanzenart auf verwandte Taxa zählt zu den plumpsten und mitunter problematischen Vorgehensweisen der Heilpflanzenkunde, wenn damit Versprechungen verknüpft werden.
Hier darf auf die Gattung Karde (Dipsacus sp.) verwiesen werden, die mit den beiden Arten Dipsacus asper und D. japonica in der TCM unter anderem bei Schwäche, Steifheit und Spannungszuständen im Bewegungsapparat zum Einsatz gelangt. Die vom amerikanischen Phytotherapeuten Matthew Wood vorsichtig diskutierte Add-on-Therapie dieser Arten bei Borreliose wurde von einem bekannten Guru still und leise übernommen und auf eine andere Art in Europa (D. fullonum) mit Weissagungen „aufgepfropft“. Die heimischen Karden sind zwar nicht giftig, aber als alleinige Maßnahme in aktuell verfügbaren Zubereitungen sicher nicht kurativ, sondern nur unterstützend wirksam. Während achtsame Phytotherapeuten mit ihren Versprechungen zurückhaltend sind, die Grenzen adjuvanter Maßnahmen erkennen und individuelle Rezepturen je nach Krankheitsverlauf adaptieren und korrigieren, wurden hier Prophezeiungen für den „Einheitskranken“ ins Volk geworfen. Populismus oder Heilpflanzenkunde?
Rosa Bären beißen nicht
Die dünnsten „Beine“ und den kleinsten „Schädel“ von allen in Österreich vorkommenden „Bären“ hat der Rote Österreich-Bärenklau (Heracleum austriacum ssp. siifolium). Der Stängel misst am Grund nur 3-4mm im Durchmesser und die Breite der rosa gefärbten Doppeldolde liegt unter 10cm. Im Unterschied zum gefürchteten Riesen-Bärenklau (H. mantegazzianum) ist dieses Wesen wegen dem geringen Gehalt an phototoxischen Furocumarinen nicht „bissig“, sondern streichelzahm.
Grund des seltenen Vorkommens in steinigen Kalkmagerrasen und in lichten Hochstaudenfluren sollte man diesen Endemiten der Ost-Alpen allerdings nicht verspeisen, wie wenig achtsame Wildgemüselexika vorschlagen. Wer beim Anblick dieser seltenen und edlen Pflanze dennoch Beißzwang verspüren sollte, findet im Latschengebüsch den Krain-Kreuzdorn (Rhamnus fallax) oder in Felsspaltengesellschaften den Zwerg-Kreuzdorn (Rhamnus pumila) zum Nagen. Der Appetit sollte sich Grund der brechreizenden Wirkung bald legen …
Andere "Gamsgrubn-Hocker" ...
Die in den Ostalpen und Karpaten beheimate Zwerg-Alpenscharte (Saussurea pygmaea) hat im Himalaya mit der „Indischen Kostuswurzel“ (Saussurea costus) eine berühmte Verwandte. Die bitter-scharf schmeckende Wurzel wurde schon im Frühmittelalter über die Seidenstraße nach Europa importiert und gegen Milz-, Leber-, Magen- und Kopfschmerzen durch „kalte Ursache“ verwendet. Karl der Große soll schon im 9. Jhd n. C. die Benediktinermönche mit der Suche einer kostengünstigen und heimischen Ersatzpflanze für die teure Droge beauftragt haben. Am Ende der Suche stand wieder ein Korbblütler, nun in gelber Farbe: Das Marienblatt.
Wer in der Gamsgrube vor lauter Pflanzen nicht „stecken bleibt“, kann die Gebirgspflanzen-Promenade auf die Vertatscha fortsetzen. Am Ende hat sich noch jeder in die Karawanken verliebt!
Terminaviso 2020 – Mensch begegnet Pflanze im Gebirge
Ethnobotanische Wandertage in den Karawanken
„Karawankenmohn & Zandelkraut“: 25.06. – 28.06.2020
„Steinwurz & Gaizvenichel“: 23.07. – 26.07.2020
Leistungen:
- Exklusives Kennenlernen der Südalpenflora von der Bergwald- bis in die Alpinstufe in einer Kleingruppe (max. 9 Personen)
- Botanische, volksheilkundliche und pharmazeutisch-wissenschaftliche Pflanzenbetrachtungen
- Zwei mittellange und zwei kurze Wanderungen
- 1 Ethnobotanik-Workshop (2 Darreichungen für zu Hause)
- Möglichkeit zur professionellen Pflanzenbestimmung am Abend (Österr. Exkursionflora, Binokular, individuelle Hilfestellung)
- Ausgewählte Karawanken-Teemischungen zum Frühstück
- Unterkunft im romantischen Bodental mit Einzelzimmervariante