Die Suche nach der „besten“ Schafgarbe
Ohne Zweifel meinte es der Gott der Heilkunst gut mit dem Alpenmenschen, als er die „Ivapflanze“ und das „Zandelkraut“ vorausschauend in die Berge setzte. Damit wurden zumindest zwei alpine Schafgarbenarten gewonnen, die leicht zu erkennen sind. Ganz anders liegt der Fall bei der Artengruppe „Echt-Schafgarbe“, wo das Bestimmen selbst für Botaniker zur Achillesferse werden kann.
Das wäre weiterhin nicht problematisch, wenn aus Sicht der pharmazeutischen Forschung der Großteil aller Schafgarben, darunter z.B. auch die Wiesen-Echt-Schafgarbe, für Heilzwecke „unbrauchbar“ ist. Ausgerechnet der Held, dem das Geheimnis der wundheilfördernden Schafgarbe als ersten Sterblichen offenbart wurde, fand sein tragisches Ende durch einen Pfeil in seiner berühmt gewordenen Ferse. Offenbar gab es schon damals Ungereimtheiten mit der Schafgarbe oder Achilles hatte einfach nicht gut aufgepasst.
Abgesehen von der Moschus-Schafgarbe (Achillea moschata) besitzt wohl keine Schafgarbe der Gebirge so viel Wertschätzung in der Volksheilkunde wie die Steinraute (Achillea clavenae), die in Kärnten auch „Zandelkraut“ heißt. Als einzige von „Kopf bis Fuß“ seidig-filzig behaarte Schafgarbenart besitzen die mittleren Stängelblätter eine fiederlappige bis fiederteilige Blattspreite mit beiderseits 2-5 Abschnitten.
Zandelkraut zwischen Tradition und Forschung
Die Vielzahl der volkstümlichen Namen wie „Weißer Speik“, „Weißer Wermut“, „Zandelkraut“, „Almwermut“, „Bittere Schafgarbe“ oder „Unser Frauen Rauch“ zeugen von einer Kulturgeschichte in vielen Regionen der Alpen. Dabei stand die Begleitung von Beschwerden des Verdauungsapparates im Vordergrund der Nutzung. Das bitter-aromatische Kraut wurde aber auch für schutzbringende Räucherrituale verwendet und Kindern wurden die samtigen Blätter als Einschlafhilfe über die Augenlieder gelegt. Ein ähnliches Einschlafritual finden wir übrigens bei kalifornischen Indianern, die zu diesem Zweck die zarten Blütenblätter von Goldmohn nutzen.
Die Steinraute beherrscht im Wesentlichen die für die Gruppe Echt-Schafgarbe nachgewiesenen „Sprachen“ mit antimikrobiellen, entzündungshemmenden, krampflösenden und Gallenfluss fördernden „Vokabeln“. Für das Flavonol „Centaureidin“ wurde in in-vitro Versuchen eine immunstimulierende Wirkung durch einen Anstieg im Interferon-gamma-Spiegel nachgewiesen. Einige Inhaltsstoffe der Steinraute, darunter auch die für Korbblütler typischen Guaianolide, zeigen unter experimentellen Bedingungen zudem antitumorale Eigenschaften. Solche Ergebnisse besitzen im Normalfall aber leider keine therapeutische Relevanz für den Menschen, der eben mehr als eine Zellkultur darstellt.
Manchmal darf man getrost seinem Geruchs- und Geschmackssinn vertrauen, um das Potential einer Pflanze einschätzen zu können. Beim Drogentyp der Amara aromatica, also den aromatischen Bitterstoffdrogen, zu denen auch Schafgarbenkraut zählt, funktioniert das besonders gut. Die im Kalkgebirge in alpinen Schuttfluren mit langer Schneebedeckung und steinigen Schneetälchen zerstreut anzutreffende Schwarzrand-Schafgarbe (A. atrata) besitzt nicht nur zarte, maximal 1mm breite Blattabschnitte, sondern ist auch sehr „zärtlich“ im Geschmack und wurde von den Älplern wohl deshalb nicht genutzt.
Falscher Deutscher Bertram
So treffsicher wie in der Alpinstufe funktioniert die „Schafgarbentombola“ unten im Tal aber nicht. Eine Ausnahme bildet die mit einem einzigen Blick auf die Laubblätter identifizierbare Bertram- oder Sumpf-Schafgarbe (A. ptarmica): Der „Wilde Bertram“ ist die einzige heimische Schafgarbe mit ungeteilten und regelmäßig gesägten Blättern. In Kärnten sollte man das Hexen mit der alten Zauberpflanze aber unterlassen, denn die an Feuchtbiotope gebundene, bis 1 Meter hohe Staude steht unter vollkommenen Naturschutz!
Die Achillesferse der Gattung Achillea
Bis heute kann weltweit kein Botaniker mit Sicherheit sagen, welche Schafgarbe besonders „heilkräftig“ ist. Selbst wenn ihm das Kunststück der sicheren Zuordnung zu einer Sippe gelingen sollte, bleibt der Fall kniffelig und ist mittels Lupe kaum zu lösen.
Der Genetiker kann nach aufwendiger Methode zumindest einen Tipp abgeben, denn nach mehrheitlicher Ansicht sind diploide und tetraploide Rassen reicher an wertbestimmenden Sesquiterpenen. Der Pharmazeut weiß alles besser. Und zwar im Nachhinein: Liegt der Gehalt an Proazulenen, die sich im Zuge der Wasserdampfdestillation hübsch blau verfärben, über 0,02% in einer Droge mit mindestens 0,2% Ätherisch-Öl-Gesamtgehalt, dann wuchs auf der Wiese eine arzneibuchkonforme Schafgarbe. Das klingt für Wald- u. Wiesenhüpfer nicht wirklich praktikabel. Was soll man aber machen, wenn sich die schlausten Botaniker noch nicht einmal darüber einig sind, wie man die Artgruppe Echt-Schafgarbe (Achillea millefolium agg.) überhaupt untergliedert und welche Merkmalskombinationen zu welcher Sippe gehören?
Besonders amüsant war die Entdeckung, dass Sippen der Eigentlich Echt-Schafgarbe (A. millefolium s. str.) sowie die Wiesen-Echt-Schafgarbe (A. pratensis) und damit anerkannte Stammpflanzen für die Arzneibuchdroge „Schafgarbenkraut“ vollkommen azulenfrei waren und in Apotheken gar keine Verkehrstauglichkeit besitzen dürften. Wie steht es also um die berühmte „Apothekenqualität“, wenn der Großteil der Droge aus SO-Europa stammt, wo nicht näher bestimmte Schafgarben in Wildsammlung geerntet werden? Entweder verfügen die Hilfskräfte über einen hellseherischen „Azulen-Blick“ oder es müssten nach Arzneibuchprüfung jedes Jahr hunderte Kilogramm Erntematerial entsorgt werden. Die Arzneibuchanforderung an wenigstens 0,2% Gesamt-Ätherisch-Öl gibt jedenfalls keine Auskunft über den wertbestimmenden Azulenanteil und könnte auch vorwiegend durch Monoterpene getragen werden. Gleichzeitig erreichen „gute“ Schafgarbenrassen einen 5-fach höheren Ätherisch-Öl-Gesamtgehalt bei bis zu 25% Proazulenanteil. Diese übertreffen die Minimalanforderung für Apothekendroge in Bezug auf Proazulene dann um das 12-fache! Eine ähnlich billige „Eintrittskarte“ ins Apothekenregal besitzt z.B. auch die Weidenrinde, wo lediglich 1,5% Salicylate gefordert werden, 6% bei richtiger Artenwahl erreichbar sind und bis 11% erzielbar wären.
Rot, rot, rot ist alles was ich liebe?
Soll man nun auf die bekannte Volksweisheit setzen, dass rötliche Schafgarben besonders heilkräftig sind? Dann müssten wenigstens Blassrote Echt-Schafgarbe (A. roseo-alba), Gebirgs-Echt-Schafgarbe (A. millefolium ssp. sudetica), rosa blühende Wiesen-Echt-Schafgarben (A. pratensis) und rötliche Varianten der Gewöhnlich Echt-Schafgarbe (A. millefolium ssp. millefolium) allesamt azulenreich und „heilwirksam“ sein. Leider verrät uns die Farbe alleine wenig über das stoffliche „Innenleben“ der Pflanze und gerade Vertreter der häufig vorkommenden und oft rosa färbigen „Millefolium-Gruppe“ gelten in Österreich als azulenfrei.
Für Kärnten, Vorarlberg und vielleicht auch Nord-Tirol verbirgt sich aber dennoch ein Funke Wahrheit in diesem auch von der modernen Signaturlehre aufgegriffenen Volksglauben: Für die hell- bis dunkelrosa blühende Blassrote Echt-Schafgarbe (A. roseo-alba) sind azulenreiche Sippen bekannt und nur in Kärnten kann äußerst selten auch die azulenhaltige Hügel-Echt-Schafgarbe (A. collina) rot blühen.
Soll man im restlichen Österreich nun die Hoffnung eine „heilkräftige“ Schafgarbe zu finden aufgeben? Mit Sicherheit nicht, denn man kann unser „Grundheil“ nicht auf einer einzigen Stoffgruppe nach Arzneibuchspielregeln aufhängen. So hat jede der aktuell 15 in Mitteleuropa bekannten chemischen Rassen (Chemoökotypen) der Artengruppe Echt-Schafgarbe ihre eigene „Tugend“ und genau in dieser Vielfalt liegen noch ungeahnte Anwendungsgebiete und „Feinheiten“ des Achilleskrauts.
"Schafgarbe im Leib, tut wohl jedem Weib!"
Von den vielen bekannten inneren und äußeren Anwendungen von Schafgarbenkraut soll zumindest eine hervorgehoben werden: Unser „Frauendank“ ist die einzige Pflanze, für welche die ehemalige Expertenkommission E eine positive Monographie bei nervös bedingten „Spannungszuständen“ im kleinen Becken (Paramethropathia spastica) für die äußere Anwendung verabschiedete. Für ein Sitzbad können 50 g Schafgarbenblüten bzw. 100 g Schafgarbenkraut mit 1 Liter heißem Wasser übergossen werden und nach 15 Minuten bedecktem Ziehen und Abseihen in 20l Badewasser gemengt werden.
Die begleitende innere Anwendung in Form von Tee kann Grund der spasmolytischen Wirkung und der Beeinflussung des sympathischen Nervensystems das Baderitual sinnvoll unterstützen. In der Empfehlung spiegelt sich auch die alte Volksweisheit „Schafgarbe im Leib, tut wohl jedem Weib!“ wieder.
Die aktuellen Empfehlungen der HMPC-Monographie für die innere Anwendung von Schafgarbenkraut lauten:
- Tee (Infus): 2-4g Droge mit 250ml kochendem Wasser überbrühen, 3-4 Mal tgl. zwischen den Mahlzeiten.
- In Form des Frischpflanzenpresssaftes sollen 5-10ml 2-3 Mal tgl. eingenommen werden.
- Die Tinktur soll im Drogen-Extrakt-Verhältnis von 1:5 mit 45 Vol.-% Ethanol hergestellt werden.
Wer sich in Österreich (ältere Untersuchungen von Sippen anderer Länder zeigen offenbar andere Ergebnisse) dennoch an den auch für die Echt-Kamille typischen Proazulenen festhalten möchte, sollte sich an die Hügel-Echt-Schafgarbe (A. collina) halten. Sie ist an den auffallend kleinen (d=2-4 cm) Schirmkorbrispen, den gedrehten Fiedern der mittleren Laubblätter, dem horstigen Wuchs, der Behaarung und an den rein weißen Blüten zu erkennen.
Ein mögliches Argument nach azulenreichen Sippen zu suchen liegt für die topische Anwendung von Schafgarbenkraut, da spezielle Sesquiterpen-Allergene in diesem Chemotyp bisher nicht nachgewiesen wurden. Wer allerdings an einer bekannten Korbblütlerallergie leidet, wird nicht mit Gewalt eine hautfreundliche Schafgarbenzubreitung suchen und alternative Pflanzen finden.
Vielleicht sollten wir uns in Zukunft besser an den Kentauren Cheiron als an das Europäische Arzneibuch halten und etwas genauer hinhören, als das Achilles bei seiner Unterweisung in die Heilkunst einst getan hat.
Viel Freude beim Rätselraten mit den „Garben“ wünscht Euer Phytagoras!