Ein gut getarntes „Indianerveilchen“
Geht es um das Lieblingsveilchen der Cherokee, könnte sich der Indianerstamm auch in Österreich beinahe wie zu Hause fühlen. Zumindest in den Kärntner Becken- und Tallandschaften sowie in Salzburg kommt das verwilderte Amerika-Veilchen beständig vor. Allerdings hat sich die 10-15 cm hohe Rosettenpflanze bei uns mit gekonntem Indianergeschick gut getarnt und wird vom Laien wegen ihrer meist weißen Kronblätter bestenfalls als „weißes Veilchen“ angesprochen. Mit sieben ethnomedizinischen Anwendungsgebieten zählt das Amerika-Veilchen (Viola soraria) zu den am vielseitigsten genutzten Veilchenarten der Welt. Wie erkennt man das „Indianerveilchen“ unter den rund 30 heimischen Gattungsvertretern und wie plausibel sind die traditionellen Indikationsgebiete aus Übersee tatsächlich?
Wenn es um die medizinische Nutzung von Veilchenarten geht gibt es wohl keinen Indianerstamm Nordamerikas, der therapeutisch differenzierter und vielseitiger als die Cherokee vorgeht. Bei ihnen deckt das Amerika-Veilchen aber dennoch fast alle von anderen Ethnien des Landes bekannten Anwendungsgebiete der Gattung ab. Interessanterweise entdeckt man die meisten Indikationen auch in der indischen Pharmakopöe und teilweise in der persischen Medizin, dort allerdings wiederum auf mehrere Veilchenarten verteilt. Haben die Cherokee ein „Universalveilchen“ gefunden?
Ein Veilchen für alle Fälle
Aus den grundständigen Blättern des „Common Blue Violet“ bereiten die Cherokee ein Kataplasma, also einen Frischpflanzenbrei zur topischen Anwendung bei Kopfschmerzen. Die traditionelle Verwendung als Analgetikum bei Spannungskopfschmerzen zählt zur dritthäufigsten Nutzung von rund einem Dutzend Veilchenarten in der Indianermedizin und war auch in Europa von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sehr populär. So empfiehlt auch Sebastian Kneipp das März-Veilchen auf Grund seiner „kühlen Natur“ gegen „große Hitze im Kopf“.
Der mit fast einem Zentimeter Durchmesser relativ mächtige, blassgelbe Wurzelstock wird gegen geschwürigen Hautleiden eingesetzt. Für die gattungstypischen „Mini-Eiweiße“, sogenannte Cycloviolacine, konnte eine den programmierten Zelltod einleitende Aktivität auf entartete Zellen mehrfach nachgewiesen werden. Dieser auch als Apoptose bezeichnete immunologische „Reparaturmechanismus“ war vielleicht schon im Mittelalter empirisch bekannt, wenn z.B. Hildegard von Bingen zur Herstellung eines Veilchenöls rät, wenn „sich von selbst an einem Körper eine Geschwulst bildet (…)“. Die unterirdischen Organe anderer Gattungsvertreter werden in Asien und Nordamerika auch auffallend häufig zum therapeutischen Erbrechen und als Laxativum eingesetzt. So besitzt das volksmythologisch für Sanftmut und Schüchternheit stehende Veilchen in Wahrheit eine recht stürmische Seite.
Wie die meisten ethnomedizinisch genutzten Gattungsvertreter wird auch das Amerika-Veilchen in Form eines Sirups bei Atemwegserkrankungen mit Husten bzw. bei Bronchospasmen verwendet. In einer klinischen Studie mit immerhin 180 asthmatischen Kindern konnte für einen Zubereitung aus März-Veilchen jedenfalls eine signifikant schnellere Remission der Beschwerden in der Begleittherapie nachgewiesen werden. Schon zuvor wurde für wässrige Veilchen-Zubereitungen eine immunsuppressive Wirkung durch Hemmung entzündungsfördernder Botenstoffe (IL-2, TNF-α, IFN-γ) ermittelt.
Die Cherokee bereiten aus dem Amerika-Veilchen zudem ein Frühjahrstonikum im Sinne eines „Blutreinigungsmittels“ und verwenden die Art auch bei unspezifischen Durchfallerkrankungen. Seit dem für Cycloviolacine eine breit antibakterielle, antivirale (z.B. gegen Influenza H1N1) und antimykotische Wirkung experimentell nachgewiesen wurde, ist auch diese ethnomedizinische Anwendung nicht aus der Luft gegriffen.
Wandlungsfähige Mondkuh
Die vielseitig traditionelle Nutzung von Veilchenarten in der nordamerikanischen Indianermedizin spiegelt nicht nur das pharmakologische Profil mit wirksamkeitsbestimmenden Cycloviolacinen, Polysacchariden und ergänzenden Salicylaten, sondern entspricht auch ganz der Wandlungsfähigkeit der Pflanze in mythologischer Gestalt der Mondkuh.
Die vom römischen Dichter Ovid eindrucksvoll beschriebene Metamorphose der schönen Nymphe Io in eine Kuh durch die Hand Jupiters erfuhr verschiedene volksmythologische Auslegungen. In einer davon setzte der Gott seiner verzauberten Geliebten das Veilchen zur Besänftigung seiner Tat auf die Erde. Ähnlich wie der Mond und die neu erschaffene Pflanze vermochte Io ihre Farbe zyklisch zu ändern und wurde zum mythologischen Bindeglied zwischen Erdtrabanten und Veilchen. Das „kühlende Mondwesen“ Ions (=griech. Veilchen) entdeckt man darüber hinaus von der antiken Säftelehre bis in die Humoralpathologie der Renaissance, wenn es medizinisch gegen „heiße Zustände“ eingesetzt wurde und entspricht vielleicht der heute nachweislich immunsuppressiven, antiallergischen und entzündungshemmenden Wirkung.
Während moderne Forschungsarbeiten die ethnomedizinischen Anwendungen einer „kühlen Mondpflanze“ immer stärker erhellen und die Fortschrittlichkeit der Indianermedizin belegen, verharrt die Europäische Arzneimittelagentur in der finsteren „Neumondphase“ und gesteht nur dem Wild-Stiefmütterchenkraut ein traditionelles Anwendungsgebiet bei leicht seborrhöischen Hautbeschwerden zu. Ob auf eine Phasenänderung zu hoffen ist, wissen nur Jupiter und Manitu.
Viel Erfolg beim Suchen und Melken der Mondkuh wünscht Phytagoras!
Anhang zur Bestimmung
Mit den folgenden Abbildungen werden die differenzierenden botanischen Merkmale des Amerika-Veilchens gemäß der Exkursionsflora für Österreich und der Flora Helvetica dargestellt.
Kunstempfehlung: Veilchen statt Rosen
Wer zur Abwechslung einmal Veilchen im Mondlicht schenken möchte, die Jupiter für Io gerade auf die Erde setzt, findet hier die passende Grußkarte.